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Kulturen sind Menschenwerke, sowohl in ihrer schöpferischen als auch in ihrer zerstörerischen Kraft. Sie sind Ausdruck menschlicher Rituale, Gewohnheiten, Weltanschauungen und Utopien: Manifestationen der Vielschichtigkeit der Lebensformen und Zivilisationen.

„Clash" der Kulturen ist deshalb keine Anomalie der Lebensformen, eher eine Paradoxie eines misslungenen Werkes, eine Störung der Harmonie der Unterschiedlichkeiten, ein Missverständnis der Menschenauffassung von der Vielschichtigkeit des Lebens.
Häufig wird die Unterschiedlichkeit der Kulturen als Kerngrund ihres Zusammenpralls simplifiziert. Z.B. Islamische Zivilisation gegen abendländische Moderne. Dabei wird vergessen, dass die Gewalt nicht die Erfindung der Kulturen ist, sondern ein dem Menschen angeborener Suchtmechanismus. Dabei sind es selten die Differenzen, die zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen, vielmehr das Unvermögen der menschlichen Selbstbeherrschung, die unkontrollierte Selbstverherrlichung und der Drang nach missionarischer Weltbeherrschung. Die unstillbare Macht- und Habsucht des Menschen, seine gekränkte Ehrsucht und Eitelkeit und sein Wahn der Eroberungssucht.

Hinter jeder Sucht existiert auch eine Sehnsucht. Gleichwohl träumt der Mensch von einer konfliktfreien Weltkultur, einer Harmonie der Einheit, in der die Differenzen aufgehoben sind. Politische und religiöse Utopien neigen dazu, paradiesische Heilswelten zu versprechen und eine harmonische Weltgemeinschaft in Aussicht zu stellen. Selten wird daran gedacht, dass Differenzen nicht die Erfindung der Menschheit sind. Sie sind letztlich Tatsachen unseres Daseins, die aufs Engste mit dem menschlichen Bewusstsein verbunden sind. Sie sind Bestandteil unseres Wesens und nicht von unserem kulturellen Bewusstsein zu trennen. Die Suche nach einer harmonischen Einheit ist eine Vision, die wohl Vision bleiben muss.

Nicht um jeden Preis darf die Nivellierung der Unterschiede herbeigeführt werden. Die Herausforderung der neuen Lebenskunst besteht darin, das Zusammenleben der Kulturen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielschichtigkeit anzuerkennen. Es macht vielmehr Sinn, die dynamische und lebendige Kraft der Unterschiedlichkeiten wahrzunehmen. Das Leben ist eine Symphonie der Differenzen, ein Ort der Gegensätze, der unterschiedlichen Töne und Rhythmen, ein Fluss mit all seinen Biegungen, Windungen und Klängen.
Vielschichtigkeit als Leitprinzip des Lebens. Gegensätze sollen sich dabei nicht zerstören und aufheben, sondern als Gegenpole in Spannung zueinander bleiben und sich damit am Leben erhalten. Leben als Ort der Begegnung der Unterschiede, Kulturen als Orte der Wahrnehmung des eigenes Selbst und der Andersartigkeit. Hier ist Raum für die Integrationskraft des Lebens, die Wandlungswilligkeit, Toleranz und Freiheit des Menschen.
Orte der Begegnung sind Orte der Kommunikation, der Selbst- und Fremdwahrnehmung, der vielschichtigen Lebens- und Sichtweisen und der Bejahung des eigenen Lebens und dem der Anderen. Die Kultur unseres 21. Jhs. soll ein neuer Integrationsort werden, die Erfindung einer neuen Lebenskunst der Wandlungswilligkeit, der Selbstüberwindung und Selbststeigerung, ein Ort, nicht nur um die Andersartigkeit zu ertragen, sondern um unsere Identität der Vielschichtigkeit zu finden. Sie soll das Bauwerk einer neuen Kultur sein, ein Identitätsgefühl, das uns zu einem neuen Zeitalter führt, einem Zeitalter der neuen Erfahrung mit dem Anderssein. Die Symphonie der Differenzen als Identität eines neuen Gesellschaftsvertrages. Es geht um eine Kultur der Anerkennung und des Respekts auf Augenhöhe für eine bessere und offene Zukunft. Deshalb ist ein Verzicht auf jegliche Gewalt und auf starre Absolutheitsansprüche geboten, um auf Grundlage echter Begegnungen Problemlösungen und die Bewältigung von Missverständnissen zu ermöglichen. Das ist die schöpferische Kraft der neuen Kultur der Vielschichtigkeit, der Symphonie der Differenzen. Wir müssen lernen, andere Menschen und ihre Kultur zu respektieren, auch wenn wir sie nicht vollkommen verstehen können. Denn das Leben eint uns alle.
Der Entwurf „Ort der Kulturen und Religionen der Welt", der von Herrn Prof. Peter Pininski präsentiert wird, ist eine visionäre Verwirklichung dieser Idee der Harmonie der Differenzen. Dessen Realisierung in Münster, einer Friedensstadt, kann mit Gewissheit in Europa und darüber hinaus ein positives Beispiel und ein integratives Vorbild und Denkanstoß für weitere Nachahmungen sein.

Von Reza Hajatpour: Aus dem Ausstellungskatalog „Orte der Kulturen und der Religionen der Welt" von Z. Peter Pininski. 22. Februar- 6. April 2010, Landeshaus des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.

reza hajatpour